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Katja Kettu : Die Unbezwingbare

Buchbesprechung von Frank Rehag, Juni 2021

dt. Erstausgabe: 2021 - Ecco Verlag, Hamburg
finn. Originalausgabe: 2018 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Rose on poissa"
aus dem Finnischen von Angela Plöger
Zeitlich passender hätte Katja Kettus Roman Die Unbezwingbare aufgrund der Aktualität nicht veröffentlicht werden können. Im Mai 2021 wurden im Westen Kanadas auf dem Grundstück eines ehemaligen Internats, das als Umerziehungscamp für Töchter und Söhne kanadischer Ureinwohner diente, die Überreste von 215 Kindern entdeckt. Über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren wurden Kinder ihren Familien entrissen und in die sogenannten Internate gesteckt, wo sie ihre Kultur vergessen sollten, ihre Feste, ihre Lieder, ihre Sprache, ihre Religion. Stattdessen sollten sie die Traditionen der europäischen Einwanderer erlernen. Gewalt, Zwangsarbeit und sexueller Missbrauch waren dabei an der Tagesordnung, in ihre Familien kehrten sie nie zurück. Niemand sprach darüber aber viele ahnten, was geschah. Exakt diese Thematik hat Katja Kettu in die hier vorliegende Familiengeschichte eingeflochten.
Die Mittfünfzigerin Lempi, Tochter der Ojibwe-Indianerin Rose Feathers und des Finnen Ettu Haverinen, kehrt 45 Jahre nach dem Verschwinden ihrer Mutter erstmals wieder in das Reservat Fond du Lac im Norden Minnesotas zurück, in dem sie aufgewachsen ist. Grund ihrer Rückkehr ist ein Anruf des für das Reservat zuständigen Sheriffs "Ohren-Mike" Mike Björnsson. Ihr Vater, der nach dem Verschwinden Roses und einem Blitzschlag an Gedächtnisverlust leidet, soll sich an ein kleines Mädchen erinnert haben. Tatsächlich ist ein Mädchen verschwunden und der inzwischen alte und schwer erkrankte Ettu wird verdächtigt, etwas damit zu tun zu haben. Zurück im Reservat wird Lempi sofort mit den alten Vorurteilen konfrontiert, wegen derer sie Zeit ihres Lebens mit ihrer Identität hadert: den Leuten im Reservat ist sie zu weiß, den Leuten außerhalb nicht weiß genug. Sie fühlt sich weder als Amerikanerin noch als Finnin noch als Indigene – von allem maximal etwas. Sie möchte ihren Aufenthalt so kurz wie möglich gestalten und macht sich beharrlich daran, dem Schicksal des verschwundenen Mädchens auf die Spur zu kommen und ihren Vater zu entlasten. Dabei fallen ihr Briefe von Rose an sie in die Hände, aus dem Jahr, in dem ihre Mutter verschwand. Lempi sieht und liest die Briefe jetzt zum ersten Mal. Nun muss sie sich mit der Vergangenheit ihrer Familie und ihrer Herkunft auseinandersetzen und damit, dass Rose bereits damals dafür eingetreten ist, Verbrechen an spurlos verschwundenen Mädchen im Ojibwe-Reservat aufzuklären... Wurde Rose selber Opfer eines Verbrechens, weil sie zuviel wusste? Und schafft es Lempi, Frieden mit ihrer Identität zu schließen?
In Form von Briefen sowohl von Mutter Rose an Tochter Lempi 1973 als auch von Lempi an ihren Jugend- und Noch-Schwarm Jim Graupelz 2018 erzählt Katja Kettu die Familiengeschichte mit den damaligen Ereignissen im Reservat sowie den aktuellen Gegebenheiten in chronologischen "Pfaden", von denen es zehn gibt und die mit dem "Pfad der Hoffnung" enden. Für dieses Buch, das die Beziehungen europäischer Auswanderer zu den Urvölkern Nordamerikas vor allem im letzten Jahrhundert behandelt sowie von Migration, Ethnie, Rassismus, Spiritualität, Mystik, Familie, Erinnerung und Liebe erzählt, verbrachte die Autorin viel Zeit in Ojibwe- und amerikafinnischen Gemeinschaften. Entsprechend detailliert werden Lebensweise und Lebenswirklichkeit der indigenen Bevölkerung und der finnischen Migranten beleuchtet. Nach Beendigung der Lektüre ist es ratsam, das erste Kapitel "Pfad des Aufbruchs" noch einmal zu lesen, da sich der Text mit dem inzwischen gewonnenen Wissen nun wesentlich klarer darstellt. Dieser Hinweis zeigt, dass sich Die Unbezwingbare nicht einfach so weglesen lässt. Katja Kettu hat diesen Roman in einer sehr wortgewaltigen und nahezu lyrischen Art geschrieben, die dem Leser höchste Konzentration abfordert. Entsprechend hoch ist die Übersetzungsarbeit von Angela Plöger einzuordnen. Dieser Roman ist nachdenklich stimmend, vor allem aber großartige und lehrreiche Literatur über ein hierzulande eher wenig beachtetes Thema.
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