Aura Koivisto : Georg Wilhelm Steller - Die Opfer einer Forschungsreise
Buchbesprechung von Siegfried Breiter, Dezember 2024
Diese Buchbesprechung erschien ursprünglich in der Deutsch-Finnischen Rundschau Nr. 203, dem Mitgliedermagazin der Deutsch-Finnischen Gesellschaft e.V., der Hinweis am Ende wurde für die Veröffentlichung hier ergänzt (Frank Rehag).
dt. Erstausgabe: 2024 - Verlag Kohlhammer, Stuttgart
finn. Originalausgabe: 2019 - Into Kustannus, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Mies ja merilehmä - Luonnontutkija Georg Stellerin kohtalokas tutkimusmatka"
aus dem Finnischen von Marleen Hawkins
Unter dem Titel Mies ja merilehmä ("Der Mann und die Seekuh") erschien das nun auf Deutsch vorliegende Buch 2019 in Finnland. Der Titel der Übersetzung nennt den Mann gleich beim Namen: Georg Wilhelm Steller (1709-1746). Biologen mögen damit sogleich die nach ihrem Entdecker benannte, längst ausgestorbene Tierart Stellersche Seekuh verbinden. Der deutsche Untertitel Die Opfer einer Forschungsreise – Opfer wohlgemerkt im Plural – verrät noch mehr und fasst zusammen, worum es in dieser Mischung aus Sachbuch und Erzählung geht. Einerseits die abenteuerliche Forschungsreise des weitgehend in Vergessenheit geratenen deutschen Arztes und Biologen, vor allem aber Naturkundlers Steller im Dienst des russischen Zarenreiches, die ihn nach Kamtschatka und die Beringsee führte; andererseits die Opfer der Reise – vom Skorbut dahingeraffte Seeleute, nicht zuletzt Steller selbst, der die Strapazen seiner anstrengenden Unternehmungen 37-jährig mit dem Leben bezahlte, sowie das Artensterben.
Koivisto bringt dieses in ursächlichen Zusammenhang mit dem menschlichen Forscherdrang und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Ausbeutung der Natur. Ihre Analyse macht das Buch so aktuell und lädt zum kritischen Nachdenken über unseren Umgang mit der Natur ein. Dabei steht zunächst aber die Schilderung der Forschungsreise von 1741 im Vordergrund, die die Leser gespannt miterleben, insbesondere der Schiffbruch, den die St. Peter im November jenes Jahres erlebte und die Mannschaft für viele Monate auf die unbewohnte, heute Bering-Insel genannte Insel spülte. Auf dieser größten der Kommandeur-Inseln starben Vitus Bering und weitere 18 Besatzungsmitglieder. Der verbleibende Rest der Mannschaft kämpfte ums Überleben, wobei sich Steller besonders verdient machte. Dieses Kapitel fesselt ganz besonders und führt uns eindrücklich die harten, lebensgefährlichen Bedingungen früherer Forschungsreisen vor Augen. Doch trotz aller Widrigkeiten ging Steller seinem Forscherdrang nach. Koivisto zitiert aus Stellers Aufzeichnungen: "Jeden Tag während der zehn Monate auf unserem unglücklichen Abenteuer hatte ich die Gelegenheit, von der Tür meiner Hütte aus die Lebensart dieser Tiere zu erforschen." Gemeint ist die Seekuh, die er beschrieb, vermaß und auf Zeichnungen festhielt.
Absolut lesenswert! – Trotz einiger sprachlicher Unstimmigkeiten, die durch ein sorgfältigeres Lektorat hätten vermieden werden können. Und wer bisher das Helsinkier Naturkundemuseum noch nicht besucht hat, wird sich dies nach der Lektüre dieses Buches garantiert vornehmen. Dort befindet sich das vollständigste Skelett dieses Tieres, das acht Meter lang und zehn Tonnen schwer werden konnte – und kaum drei Jahrzehnte nach seiner Entdeckung bereits ausgerottet war.
Hinweis: Stellers Seekuh bzw. die Stellersche Seekuh wird sicher den meisten Lesenden unbekannt sein. Dennoch erschien fast zeitgleich mit dem hier besprochenen Buch auch der Roman Das Wesen des Lebens von Iida Turpeinen (Verlag Fischer Sauerländer, Besprechung Oktober 2024), das sich ebenfalls mit dem inzwischen ausgestorbenen Meerriesen beschäftigt. In Finnland ist nach dem Erscheinen von Iida Turpeinens Roman nahezu eine Begeisterung rund um Stellers Seekuh ausgebrochen. Die Besucherzahl im naturhistorischen Museum ist um etwa 30% gestiegen und inzwischen ist das Skelett tatsächlich so beliebt, dass es durch eine Absperrung vor zu vielen Berührungen geschützt wurde.