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Kjell Westö : Wo wir einst gingen

Buchbesprechung von Annemarie Leibenguth, März 2009

dt. Erstausgabe: 2008 - btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München
finn. / schw. Originalausgabe: 2006 - Söderströms, Helsinki / Norstedts, Stockholm
Titel der finnlandschwedischsprachigen Originalausgabe: "Där vi en gång gått"
aus dem Finnlandschwedischen von Paul Berf
Der Bürgerkrieg 1918, der die Bevölkerung Finnlands in Weiße (Nationalisten) und Rote (Sozialisten und Kommunisten) spaltete, wird gerade in der finnlandschwedischen Literatur immer wieder thematisiert, wohl weil die Suche nach einer freien, von schwedischer und russischer Herrschaft unabhängigen finnischen Identität gerade die schwedischsprachige Bevölkerung in Großbürger mit Herrschaftsanspruch und aufbegehrende Arbeiter teilte. In Wo wir einst gingen entwirft Kjell Westö ein sich ständig veränderndes Panorama der Stadt Helsinki und ihrer Menschen von 1905 bis 1938, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf das Bürgerkriegsjahr. In sieben Teilen zeigt er jeweils zeitlich begrenzte Porträtstudien einer Gruppe von jungen, schwedischsprachigen Leuten, die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, dem Großbürgertum angehören. Der Fokus wandert in jedem Teil von einem zum anderen, zum Beispiel vom empfindsamen Arbeitersohn Allu Kajander zur lebenslustigen und der Enge der Konventionen entfliehenden Lucie Lilljehelm, dessen Geliebten, oder von Eccu Widing, einem Freund von Lucies Bruder Cedi, zu dessen Sekretärin im Fotostudio, Mandi Salin, die später Allu heiraten wird. Die Verstrickungen innerhalb der Gruppe von Freunden und Bekannten sind zu vielfältig, um sie in zwei Sätzen zusammenzufassen. Deutlich wird immer wieder, wie eng die Schicksale miteinander verknüpft sind, wie nah sich politische und gesellschaftliche Kontrahenten sind, wenn man nur den Blick darauf richtet, wenn man bereit ist, hinter die Kulissen zu blicken, sich auf eine Änderung des Blickwinkels oder eine andere Beleuchtung einzulassen. Der Roman erzählt von sehr persönlichen und individuellen Freiheitskämpfen vor dem Hintergrund der finnischen Identitätssuche; von Konventionen und der neuen Zeit, die mit Demokratiebestrebungen, Jazzmusik und technischem Fortschritt Einzug hält; von Träumen, höher zu wachsen als das Gras, und Ängsten, die jedes mögliche Wachstum im Alkohol ertränken; von politischer Verblendung, Grausamkeit und Hass; von Menschlichkeit, Freundschaft und Sorge für und um den anderen; von der Fotografie als gestellter Momentaufnahme vor begrenzten Wahlmöglichkeiten des Hintergrundes und den 'laufenden' Bildern als zeitgemäßem, wenn auch gewöhnungsbedürftigem Medium; vom Streit zwischen schwedischer und finnischer Sprache, der noch heute spürbar ist; von den Menschen und ihrer Stadt. Absolut lesenswert, gerne mit aufgeschlagenem Stadtplan und anschließendem Spaziergang durch Helsinki, wie es zum Beispiel der Tagesspiegel in einer Literaturbeilage und die Zeit unter dem Stichwort Reise getan haben. Die Übersetzung kann ich ebenfalls nur als gelungen bezeichnen, die eingestreuten deutschen, französischen (das Interesse an Frankreich löste um die Jahrhundertwende die Deutschlandorientierung ab) und finnischen Sprachbruchstücke sowie die Verwendung von klassenabhängiger Umgangssprache und Hochsprache kommen gut und verständlich zur Geltung.
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