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Arttu Tuominen : Was wir verschweigen
('Delta'-Reihe, Bd. 1)

Buchbesprechung von Frank Rehag, November 2021

dt. Erstausgabe: 2021 - Bastei Lübbe, Köln
finn. Originalausgabe: 2019 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Verivelka"
aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen
Das erste Tötungsdelikt für Jari Paloviita in seiner neuen Rolle als Interims-Chef des Kriminalkommissariats Pori scheint ein Selbstläufer zu werden, der schnell zu den Akten gelegt werden kann: Saufgelage in einem Wochenendmökki, Messerstecherei unter Betrunkenen, ein mutmaßlicher Täter wird schnell gefasst, als dieser im Wald in der Nähe des Tatorts mit blutverschmierten Klamotten aufgegriffen wird. Als Paloviita von den beiden Kommissaren Henrik Oksman und Linda Toivonen, die er zum Tatort schickte, jedoch die Namen des Tatverdächtigen – Antti Mielonen – und des Opfers – Rami Nieminen – erfährt, reagiert er ausgesprochen nervös, was auch Oksman und Toivonen nicht verborgen bleibt. Jari Paloviita, Antti Mielonen und Rami Nieminen kennen sich aus gemeinsamen Schultagen, Paloviita verschweigt das jedoch gegenüber den Kollegen. Rückblick 1991: Antti und Jari sind die besten und auch einzigen Freunde des jeweils anderen, sie können sich bedingungslos vertrauen und aufeinander verlassen. Die Tatsache, dass sie aus völlig unterschiedlichen Elternhäusern stammen, kann die Freundschaft der beiden Jungen nicht mindern. Jari wächst in einem gutsituierten Elternhaus auf, um die kleinere und geistig zurückgebliebene Schwester Tiina wird sich rührend gekümmert. Anttis Vater scheint ein netter und fleißiger Zeitgenosse zu sein, doch nach übermäßigem Alkoholgenuss wird er gegenüber seiner Frau und Antti unfair und gewalttätig, nach Außen wahrt Antti die heile Fassade. Auch Rami Nieminen wächst in einem Elternhaus auf, in dem ihm großes Leid durch seinen Vater widerfährt. Er kanalisiert das jedoch anders und gibt diese Gewalt draußen weiter, meist an kleinere Jungs, gegenüber denen er sich dann groß fühlt. Mit seinen beiden Kumpanen betreibt er ein Mobbing der grausamen Art. Jari und Antti geraten immer wieder mit Rami aneinander, was in mehreren Tragödien rund um Mittsommer 1991 enden soll. Danach ist nichts mehr so wie es vorher war und die Lebenswege der drei Protagonisten verlaufen in den darauffolgenden 27 Jahren völlig unterschiedlich. Zurück im Jahr 2018: Jari verdankt Antti sein Leben und steht tief in seiner Schuld, die er nun zu begleichen bereit ist – dazu muss er jedoch die Ermittlungen manipulieren. Allerdings weiß der wachsame Henrik Oksman die Manöver zu durchschauen und setzt alles daran, der "Gerechtigkeit" zu ihrem Sieg zu verhelfen. Für Paloviita wird der eigentlich klare Fall zu seinem schwierigsten und sein idyllisch aufgebautes Leben steht vor dem Zusammenbruch, zumal auch zuhause mit der Familie nicht alles wie gewünscht verläuft...

Mit Was wir verschweigen hat Arttu Tuominen eine faszinierende Geschichte ersonnen, in der Vergangenheit und Gegenwart harmonisch wechseln. Die Ereignisse aus dem Frühjahr und dem Sommer 1991 sind der Bezug zu dem, was im November 2018 passiert. Die Spannung ist intensiv und kommt nicht durch die Aufklärung des eigentlichen Tötungsfalles – das ist eigentlich relativ schnell klar – sondern weil man wissen will, wie es den Menschen ergangen ist, die hinter diesem Fall stecken. Was passierte mit den Jungen in der Kindheit? Was passierte auf dem Weg zum Erwachsenwerden? Wie sind die teils qualvollen Schicksale der Jungen miteinander verbunden? Gekonnt und eindringlich beschreibt Tuominen die Themen häusliche Gewalt und Mobbing in der Schule und was das mit Kindern und Jugendlichen macht, in welche Richtung sie sich durch solche Ereignisse entwickeln können, insbesondere zum Zeitpunkt der frühen Adoleszenz. Stück für Stück wird die Vergangenheit auseinandergenommen, was dabei hilft, die Handlungen des erwachsenen Polizisten Jari besser zu verstehen. Moralische Widersprüche zwischen Freundschaft, Dankbarkeit und Verantwortung tun sich auf und werden abgewogen. Ob Jari dabei moralisch richtig oder falsch handelt, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden – die Antwort wird aber wohl in den wenigsten Fällen eindeutig sein. Wie weit ist man bereit, im Namen der Freundschaft zu gehen? Tuominens erster Band aus der 'Delta'-Reihe ist ein großartiger psychosozialer Kriminalroman mit einer Geschichte, die einen in ihren Bann zu ziehen vermag. In Finnland sind bereits drei Bände in dieser Reihe erschienen, ein vierter soll im August 2022 veröffentlicht werden. Dem deutschsprachigen Lesepublikum bleibt nur die Hoffnung, dass weitere Bände für eine deutsche Übersetzung vorgesehen sind, die Rahmenbedingung mit dem Potential der Kommissare ist allemal vorhanden, denn auch die Kollegen Linda Toivonen und Henrik Oksman haben ihre Probleme und Geheimnisse, die weiter zu beleuchten sich lohnen.

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