Tuomas Oskari : Tage voller Zorn
Buchbesprechung von Frank Rehag, Januar 2023
dt. Erstausgabe: 2022 - Bastei Lübbe, Köln
finn. Originalausgabe: 2021 - Otava, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Roihu"
aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen
In Finnland erschien dieser Roman unter dem Autorennamen Tuomas Niskakangas. Oskari ist der zweite Vorname des Autors, sein eigentlicher Nachname Niskakangas, so sagt er, sei für Ausländer ein wenig kompliziert, diese Erfahrung habe er während seiner Zeit in den USA gemacht.
Wir schreiben das Jahr 2027. Zahlreiche Krisen in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts, insbesondere aber die 2020er Jahre haben sämtliche westliche Staaten und auch Finnland in die Knie gezwungen. Immer weitere Konjunkturpakete und die damit einhergehende unkontrollierte Verschuldung haben die finnischen Staatsfinanzen mit dem Platzen der Schuldenblase vor zwei Jahren endgültig kollabieren lassen. Die Arbeitslosenzahlen sind hoch, die Mehrzahl der Einkommen gering. Seitdem ist eine neue Unterschicht entstanden, in die ein Großteil der ehemaligen Mittelschicht abgerutscht ist. Eine massive Abdrängung in die Sozialsysteme und die damit verbundenen leeren Sozialkassen haben immer weitere und härtere Kürzungsrunden zur Folge. In Helsinki dient die ehemalige Zooinsel Korkeasaari inzwischen als Obdachlosenunterkunft, die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich nimmt immer dramatischere Formen an. Der Aufruhr unter den Menschen wird immer massiver und Finnland erlebt eine beispiellose Mobilmachung der linken Bewegung, als deren Kopf Emma Erola gilt. Ihre revolutionäre Idee zur Schaffung eines neuen auf künstlicher Intelligenz basierenden sozialistischen Wirtschaftssystems scheint zum Greifen nah, denn der Kapitalismus ist an einem Punkt angekommen, an dem er an der ungleichen Verteilung des Vermögens zerbrechen musste.
Leo Koski, erst seit kurzem Vorsitzender der Sammlungspartei und Ministerpräsident einer rechtskonservativen Regierung, hat einen schweren Stand, sowohl in der Bevölkerung als auch bei den politischen Gegnern und seinen eigenen "Parteifreunden". Seinen Aufstieg verdankt er einzig und allein einer Gilde bestehend aus mächtigen und reichen Wirtschaftsvertretern, denen die Spaltung der Gesellschaft und die zunehmende Armut in weiten Teilen der Bevölkerung egal sind. Im Hintergrund ziehen sie die politischen Fäden und haben nahezu unbegrenzten Einfluss auf die Entwicklung des Landes. Mit ihrem Geld unterstützen sie bürgerlich-konservative Politiker ebenso wie sie es dazu nutzen, diese zu erpressen und damit in ihrer Hand zu haben. Auch Leo Koski ist nur ein Schoßhündchen dieser Strippenzieher. Als sich jedoch eine Selbsttötung vor der Wohnung des Hotelbesitzers und Gildenmitglieds Harri Holsti ereignet, wird es auch innerhalb der Gilde unruhig. Das Zimmermädchen Lumi Nevasmaa aus Holstis Hotel zeigte ihn einst wegen Vergewaltigung an, die Anzeige verlief jedoch im Sande. Nevasmaa sah keinen anderen Ausweg, als sich vor ihrem Peiniger mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Darüber hinaus geht ein Video von Holstis schändlicher Tat in den sozialen Medien viral und es wird über die bewusste Vertuschung dieser Straftat spekuliert. Nachdem Krisen und Kürzungspolitik aus Finnland ein Pulverfass gemacht haben, entzündet der Märtyrertod Lumi Nevasmaas nun endgültig die Lunte. Leo Koski und Emma Erola erkennen, dass sie nur gemeinsam einen blutigen und katastrophal endenden Putsch verhindern können…
Tage voller Zorn ist ein erstklassiges Romandebüt und gleichzeitig ein neuer Stern am Politthrillerhimmel. Tuomas Oskari steht den in diesem Genre bereits erfolgreichen und bekannten finnischen Autoren Ilkka Remes und Taavi Soininvaara in nichts nach, seine Schilderungen sind aufgrund des realen Wahnsinns in der heutigen politischen Welt sogar noch greifbarer einzuordnen. Aufgrund der plausibel dargestellten näheren Zukunft ist es erschreckend, wie realistisch dieses dystopische Szenario um Macht und Ränkespiele auf dem politischen Parkett sowie der immer weiter fortschreitenden gesellschaftlichen Spaltung zwischen Arm und Reich scheint. Tuomas Oskari weiß, worüber er schreibt. Er ist Politik- und Wirtschaftsjournalist und war bereits als Auslandskorrespondent in den USA tätig. Er schöpft aus einem profunden Wissen zu politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen und ist mit dem Zeitgeschehen vertraut. Sowohl die Schauplätze der Handlung als auch die Wirtschaftstheorien und Statistiken sind real und wahrheitsgetreu beschrieben. Innerhalb der fiktionalen Handlung mit den frei erfundenen Figuren bietet Tuomas Oskari allerdings auch denkbare Lösungen zur Beseitigung der stetig wachsenden ungleichen Vermögensverteilung an, die aber in der heutigen Zeit politisch (noch) nicht gewollt sind. Diese basieren zum Teil auf alten Ideen kombiniert mit modernen technischen Möglichkeiten. Großartiger Spannungsroman für alle politisch Interessierten und die, die es werden wollen und spätestens nach der Lektüre sind. Am Ende des Buches gibt es noch ein von der Übersetzerin Anke Michler-Janhunen erstelltes kurzes Namens- und Sachregister, das insbesondere für Leser hilfreich ist, die noch keine besondere Affinität zu Finnland bzw. Helsinki haben.