Marianna Kurtto : Tristania
Buchbesprechung von Frank Rehag, August 2022
dt. Erstausgabe: 2022 - mare Verlag, Hamburg
finn. Originalausgabe: 2017 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Tristania"
aus dem Finnischen von Stefan Moster
Die im Südatlantik gelegene kleine Vulkaninsel Tristan da Cunha gilt als abgelegenste bewohnte Insel der Welt und gehört zum britischen Überseegebiet. Die Geschichte dieser Insel und das Leben der Inselbewohner in den 1950er und 1960er Jahren bilden das Grundgerüst in Marianna Kurttos Debütroman Tristania. Nahezu isoliert von der Außenwelt leben die Menschen dort Tag für Tag von Fischfang, Landwirtschaft und Schafzucht. Ab und zu fährt man mit Booten hinüber zur etwa 40 km entfernt gelegenen Insel Nightingale. Dort sammelt man Eier ein, auch Guano als Düngemittel, zudem wird auf der Jagd das Fleisch der Sturmtaucher erbeutet. Ein paarmal im Jahr verkehren Versorgungsschiffe, die meist vor der Insel ankern müssen, dann werden auf Booten die benötigten Materialien oder Post entgegengenommen, auch erhält man "luxuriösere" Güter im Tausch gegen Schafswolle oder Fleisch. Die meisten der knapp 260 Inselbewohner sind zufrieden mit diesem bescheidenen Leben und haben sich mit den gegebenen Umständen arrangiert. Sie bilden eine enge Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt. Doch es gibt auch Menschen wie den Fischer Lars oder die Insellehrerin Martha, denen dieses Leben nicht genügt, sie sehnen sich nach der Welt außerhalb ihres kleinen Inselkosmos. Martha geht regelmäßig auf den Berg zu ihrem Spähpunkt, von dem sie nach Schiffen Ausschau hält, von denen sie hofft, eines Tages von einem mitgenommen zu werden. Sie möchte die unangenehmen Ereignisse, die sie mit ihrem Leben auf der Insel verbindet, endlich hinter sich lassen. Lars hingegen hat sich seinen Wunsch bereits erfüllt. Mit der Begründung, auf der Suche nach Waren zu sein, verschlägt es ihn regelmäßig nach England. Mit jeder Fahrt dorthin dauert es länger bis zur nächsten Heimkehr, obwohl auf der Insel seine Frau Lise und der gemeinsame Sohn Jon warten. Sie wissen nicht, dass Lars sich auf seinen Reisen in die Blumenverkäuferin Yvonne verliebt und mit ihr in England inzwischen ein zweites Leben aufgebaut hat. Lars hat längst entschieden, dort zu bleiben und seine Familie auf der Insel zurückzulassen. Zunächst lebt er auch ein erfülltes Leben mit seiner neuen Partnerin, doch nach und nach wird das Zusammenleben mit Yvonne unerträglich, die Gedanken an die Heimat brechen sich mehr und mehr Bahn. Als er in der Zeitung liest, dass auf Tristan da Cunha der Vulkan ausgebrochen ist, fällt ihm die Entscheidung zur Rückkehr leicht. Währenddessen sind die Bewohner der Insel bereits nach Kapstadt evakuiert worden. Alle bis auf Jon, der als verschollen gilt, sowie Marthas Mann Bert und Marthas Bruder Sam, die auf der Suche nach Jon geblieben sind...
Mit einer überzeugend klaren Sprache, ausdrucksstark und poetisch, gelingt es Marianna Kurtto, die Leser/-innen in diese fiktive Geschichte, die um einen wahren Ort und ein wahres Ereignis herum aufgebaut wurde, hineinzuversetzen: man kann die Gerüche von salzhaltiger Luft, Schweiß und Fisch förmlich wahrnehmen, das Rauschen der Wellen hören, die feuchtwarme Luft und den schwarzen Sand spüren. Mit großem Feingefühl zeichnet sie ein Bild von Menschen, die fernab moderner Zivilisation im Nirgendwo leben und sich ein anderes Leben nicht vorstellen können, auch wenn es viele Verlockungen in der Welt draußen geben mag. So idyllisch und reibungslos das Leben der Inselbewohner erscheinen mag, gibt es aber auch auf diesem kleinen abgelegenen Flecken die gesamte Palette der menschlichen Natur: Leidenschaften, Geheimnisse, Eifersüchteleien, Ängste, Liebe, Bitterkeit, Wut, Rache, Brutalität. Raffiniert verflechtet Kurtto die Erlebnisse ihrer Protagonisten Lise, Martha, Jon und Lars mit verschiedenen Zeitebenen und Orten, die regelmäßig wechseln, ohne dabei für die Leser/-innen unverständlich zu werden. Stück für Stück wird hierbei Spannung aufgebaut. Der Zeitpunkt des Vulkanausbruchs steht sinnbildlich dann auch für die Spannungsentladung in Form von der Offenlegung aller Missverständnisse und Geheimnisse. Und mit dem Ende vermag Kurtto ein letztes Mal zu überraschen in ihrem äußerst gelungenen Debütroman, der einen mit seiner faszinierenden Atmosphäre in seinen Bann zu ziehen vermag und als Hommage an die Heimat und die Natur verstanden werden darf. Sehr empfehlens- und lesenswert!