Siri Kolu : Vilja und die Räuber
('Vilja'-Reihe, Bd. 1)
Buchbesprechung von Birgit Arnold, Juni 2012
dt. Erstausgabe: 2012 - Wilhelm Heyne Verlag in der Verlagsgruppe Randomhouse, München
finn. Originalausgabe: 2010 - Otava, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Me Rosvolat"
aus dem Finnischen von Antje Mortzfeldt
Einen Sommer lang Räuber sein, so etwas kann sich die zehnjährige Vilja zu Beginn der Sommerferien nicht vorstellen - diese beginnen nämlich so, wie sie immer beginnen. Obwohl ihr Papa Jahr für Jahr ein gemeinsames Erlebnis für die ganze Familie verspricht, fällt ihm letztendlich nichts Besseres ein, als zur Oma zu fahren. Erst heißt es, dass man eine Radtour macht, die dann wegen einem bisschen Regen ins Wasser fällt. Auch der versprochene Campingurlaub kommt nicht zustande, weil der Vater plötzlich etwas für die Arbeit zu erledigen hat. Also bleibt am Ende die gemeinsame Fahrt zur Oma, der ödesten aller möglichen Sommerferienereignisse. In diesem Punkt ist Vilja ausnahmsweise mit ihrer großen Schwester Vanamo einer Meinung. Doch es kommt anders, als es sich die Geschwister denken. Auf der Fahrt zur Oma wird die Familie von Räubern - der Familie Räuberberg - überfallen. Das Auto wird blitzschnell leergegrabscht, doch mit Vilja als zusätzlicher Beute hat niemand gerechnet. Im Eifer des Gefechts kann so etwas aber auch dem geübtesten Räuberhauptmann passieren. Außerdem wollten die Räuberkinder Kalle und Hele schon lange jemanden zum Spielen haben, somit kommt Vilja wie gerufen. Der Wilde Karlo, Oberhaupt der Familie, verkauft den Beuteunfall als gewollt und ist mit sich und der Welt zufrieden. Natürlich schmiedet Vilja zunächst Fluchtpläne. Doch nach weiteren Überfällen der Räuberfamilie, bei denen sie unweigerlich mitmacht, hat sie gar keine Angst mehr und findet langsam Spaß daran, eine echte Räuberin zu sein. Und dass Vilja nicht dumm ist, merken die Räuberbergs sehr schnell. Sie lernt allerhand wichtige Dinge, die für ein Räuberleben unabdingbar sind, und dass die Jagd auf Süßes das Wichtigste überhaupt ist. Die Familie Räuberberg wächst ihr immer mehr ans Herz und sie genießt es, Teil davon zu sein. Vilja erlebt den aufregendsten Sommer ihres Lebens, mit Baden im See, Würstchen grillen am Lagerfeuer, spannenden Raubzügen und jeder Menge Lakritzstangen... Daheim wird Vilja oft von ihrer großen Schwester geärgert. Vanamo klaut ihr regelmäßig die Süßigkeiten - angeblich hat sie als große Schwester das Vorrecht auf den Inhalt der Bonbontüte. Gemeinerweise kommt sie damit bei den Eltern immer wieder durch. Vilja ist halt die kleine Schwester, die niemand richtig ernst zu nehmen scheint. Vom Nesthäkchen-Bonus kann keine Rede sein. Nach der Erbeutung durch die Räuberbergs hat sich Vilja gefragt, wie lange ihre Familie wohl gebraucht hat, um ihr Fehlen zu bemerken. Jetzt scheint ihre große Stunde gekommen zu sein. Sie, die kleine Schwester, steht ab sofort im Mittelpunkt. Nach anfänglicher Skepsis freundet sich mit den Kindern der Räuber an und stellt fest, dass auch in dieser Familie nicht alles eitel Sonnenschein ist. Besonders Kalle scheint sich nach einem normalen Leben zu sehen. Wie gerne würde er zur Schule gehen. Er liest und grübelt viel und fühlt sich in seiner Familie oft missverstanden. Ihm ergeht es ähnlich wie Vilja. Seine große Schwester Hele ist quasi so etwas wie der Sonnenschein der Familie. Sie weiß vieles besser und wird immer für alles und jedes gelobt. Aufgrund dieser Parallele findet Vilja sie auch zunächst blöd - wie ihre eigene Schwester. Aber im Verlauf der vielen Abenteuer lernen sie sich besser kennen und schätzen. Und ausgerechnet Kalle kann seiner Familie in einer wichtigen Situation helfen. Als die Sommerferien zu Ende sind, muss sie schweren Herzens von den Räuberbergs Abschied nehmen. Vilja findet, dass es der beste Sommer ihres Lebens war. Jetzt wird sie nicht mehr das Mädchen sein, das sehnsüchtig die nächste Chorprobe oder Geigenstunde herbeisehnt. Nein, Vilja sehnt den nächsten Sommer herbei. Sie möchte wieder geraubt werden.
Wer Astrid Lindgren mag, der wird auch die Geschichte von Siri Kolu mögen. Auch wenn der Vergleich mit der großen Dame der skandinavischen Kinderbuchliteratur vielleicht zu hochgegriffen scheint, sind Ähnlichkeiten mit Ronja Räubertochter oder Madita nicht ganz von der Hand zu weisen. Die erste Hälfte des Buches lässt sich sehr leicht lesen: witzig, charmant und perfekt für Kinder. Leider hat das Buch zum Ende hin einige Längen, der Pep lässt nach und manches ist zu sehr vorhersehbar. Da man die Protagonisten zu diesem Zeitpunkt aber schon liebgewonnen hat, kann man an dieser Stelle Nachsicht walten lassen. Dennoch handelt es sich bei Vilja und die Räuber um ein ideales Vorlesebuch. Es lässt sich sehr gut einteilen, da die Kapitel kurz sind und diese beispielsweise während einer langen Autofahrt ans Ferienziel den irgendwann auf der Rückbank ungeduldigen Kindern vorgelesen werden können. In Finnland wurde Siri Kolu 2010 für dieses Buch mit dem begehrten Finlandia Jugendbuchpreis ausgezeichnet, die jungen Leserinnen und Leser haben das Buch regelrecht verschlungen. Es bleibt zu wünschen, dass es auch auf dem deutschsprachigen Buchmarkt ein Erfolg wird. Es ist ein großartiges neues Abenteuer, dass von Freundschaft und Familie handelt, und davon kann man nie genug haben. Für Kinder ab zehn Jahre.