Juhani Karila : Der Fluch des Hechts
Buchbesprechung von Bettina Dauch, April 2022
dt. Erstausgabe: 2022 - Homunculus Verlag, Erlangen
finn. Originalausgabe: 2019 - Siltala, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Pienen hauen pyydystys"
aus dem Finnischen von Maximilian Murmann
Elina Ylijaako ist eine sympathisch eigenbrötlerische Frau mit eremitischem Gemüt, die in einem erfundenen nordostfinnischen Dorf namens Vuopio in Polarkreisnähe aufgewachsen ist, das auf dem Grenzstreifen zu Russland zu liegen scheint, und in das sie jeden Sommer aus dem Süden zurückkehrt. Die Umgebung und die Natur werden detailliert und lebhaft beschrieben, mit allerlei Getier und Pflanzen und dem immer wiederkehrenden Sumpf. Man kann die Sommerhitze förmlich spüren, den Sumpf riechen und das Plätschern und Rauschen des Wassers sowie das unerbittliche Surren der Mücken hören. Seit fünf Jahren kommt Elina jeden Sommer hierher, um den letzten Hecht in einem schlammigen, kleinen Tümpel namens Seiväslampi zu angeln, der nach Mittsommer austrocknet. Diesmal entkommt der Hecht zunächst und schnell wird klar, dass der Fang dieses Fischs eine sehr bedeutungsvolle Handlung ist. Elina muss den Hecht um jeden Preis jeweils innerhalb weniger Tage fangen, um einen Fluch zu brechen oder wenigstens zu unterbrechen. Zur gleichen Zeit erreicht eine Polizistin aus Oulu namens Janatuinen das Dorf, um ein Verbrechen aufzuklären, dessen sich Elina verdächtig gemacht hat. Bereits zu Beginn ihrer Ermittlungen lernt Janatuinen ein merkwürdiges, als Pejooni bezeichnetes struppiges Tier kennen, mit dem sie sich anfreundet und zum Angeln geht. In die Geschichte, die zunächst wie ein normaler Roman beginnt, treten nach und nach relativ plump einige übersinnliche Elemente, Fabelwesen und Geister und man weiß zunächst nicht, ob es sich um Realität oder Träume handeln soll. Während Janatuinen sich bei den Einheimischen über die diversen Gepflogenheiten informiert, macht sich Elina erneut an den Versuch, den Hecht aus dem Tümpel zu ziehen. Nun stellt sich ihr ein furchterregender Riese namens Näck in den Weg, der den Hecht rettet und Elina in ihrer Notlage erpresst. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und in zahlreichen Rückblicken erfahren wir mehr über Elinas Kindheit und Jugend, ihre Mutter und deren Ruf als Hexe sowie die Geschichte der ganzen eigensinnigen Dorfbewohner. Es treten eine Vielzahl schillernder Figuren auf, wir begegnen Namen wie Knarren-Erkki, Scheiße-Simo und Beißer-Olli. Letzterer ist schon seit Generationen tot, spielt aber als ein aus allerlei Gestrüpp zusammengeschusterter Zombie eine Schlüsselrolle bei Elinas Kampf gegen den bösen Näck. Ferner begegnen wir Geistern und Gestalten wie Paras, Hattaras, Rabatzen, Torfmorras und Flusskümmerlingen. Dass sich sogar die eigentlich nicht bildungsfern wirkende Polizistin aus Oulu auf den Hokuspokus einzulassen scheint, wirkt auf Leser mit halbwegs intaktem Realitätssinn verstörend und unglaubwürdig. Doch wenn man die Hexerei beiseiteschiebt, offenbart sich doch noch eine richtige Handlung. Der in der Erzählung zu brechende Fluch ist auf eine unglückliche Liebschaft zurückzuführen, auf die sich die eigentlich eher menschenscheue und freiheitsliebende Elina in ihrer Jugend mit ihrem Klassenkameraden Jousia eingelassen hat. Was zunächst recht idyllisch wirkt, verwandelt sich bald in einen handfesten narzisstischen Missbrauch seitens des jungen Mannes, der von Elina erwartet, dass sie sich wie selbstverständlich seinen Wünschen beugt. Er zwingt ihr plötzlich eine vorübergehende Vereinbarung auf und als sie Jahre später seine neuesten Forderungen an sie nicht umgehend erfüllt, begeht er einen folgenschweren Fehler, an dem er Elina im Anschluss die volle Schuld gibt. Das Verbrechen, dessen Elina von Janatuinen beschuldigt wird, hat allerdings nur sehr indirekt damit zu tun…
Obwohl die Geschichte in einer abgelegenen Region von Lappland spielt und auch Rentierzüchter in Erscheinung treten, bleiben samische Kultur und Mythologie außen vor; die Zauberei stammt teilweise aus dem alten finnischen Aberglauben der Region, ist zum Teil jedoch auch vom Autor selbst erfunden. Die Naturbeschreibungen sind eindrücklich und die Charaktere anschaulich herausgearbeitet, der Schreibstil ist angenehm und mit diskretem, trockenem Humor durchsetzt. Die Übersetzung der schrägen Geschichte mit ihrem teilweise außergewöhnlichen Vokabular wurde von Maximilian Murmann überzeugend vollbracht. Etwas störend ist nur die sehr ominöse Mundart, die von den Einheimischen gesprochen wird; die scheinbar wahllose Kombination aus Elementen nord- und süddeutscher Lokaldialekte und Redewendungen mit einwandfreiem Schrift-Hochdeutsch kann man sich nur schwer gesprochen vorstellen. Ansonsten liest sich das Buch sehr flüssig, für den vollen Lesegenuss dürfte jedoch eine gewisse esoterische Ader von Vorteil sein.