Olli Jalonen : Die Himmelskugel
Buchbesprechung von Saskia Geisler, Juli 2021
dt. Erstausgabe: 2021 - mare Verlag, Hamburg
finn. Originalausgabe: 2018 - Otava Publishing Company Ltd., Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Taivaanpallo"
aus dem Finnischen von Stefan Moster
Jede Nacht rennt Angus zu einem Baum, klettert hinauf und bindet seinen Kopf in einer Lederschlaufe fest, um im exakt gleichen Blickwinkel die Sterne zu beobachten. So weit, so merkwürdig. Angus liebt seine Aufgabe und erzählt mit Hingabe von ihr. Überhaupt erzählt er detailliert und gekonnt, allerdings bleibt es an uns, uns unseren Teil dazu zu denken, denn Angus ist acht Jahre alt und erst nach und nach wird deutlich, wo er es wagt, den starren Regeln und Vorstellungen, die die Erwachsenen ihm einbläuen, auch eigene Gedanken hinzuzusetzen. Denn eigene Gedanken und Ideen, die Welt zu verstehen, hat Angus nicht zu knapp. Der Forscher Edmond Halley hatte die Insel St. Helena besucht und war dabei auf den Jungen aufmerksam geworden. Er gab ihm Beobachtungsaufgaben, wie die Sternaufzeichnung, um seine Augen zu schulen und ließ einen Kalender zurück, damit Angus die Aufgabe fortführt. Doch der Kalender ist nicht das Einzige, was zurückblieb – sowohl Angus‘ Mutter, eine Witwe, als auch seine Schwester Ann bekommen Kinder, bei beiden ist die Vaterschaft bis zum Ende nicht ganz klar. Was aber klar ist, ist dass auf der Atlantikinsel St. Helena, wo Angus lebt, im Jahr 1679 eine alleinstehende Frau und uneheliche Kinder nicht akzeptiert sind. So wird die pflichtschuldige Erfüllung der Beobachtungsaufgaben für Angus auch immer mehr eine Flucht vor der ihn umgebenden, tragischen Realität. Denn zwar nimmt der Inselpastor die Familie bei sich auf, aber nun ist die Mutter noch mehr als Hure verschrien und die Kinder werden regelmäßig bedroht und Gewalt ausgesetzt. Die Dinge eskalieren so weit, dass Angus nach England geschickt wird, um dort bei Halley um Hilfe zu bitten.
Mehr sei hier vom Romaninhalt nicht verraten, wohl aber eine eindeutige Leseempfehlung ausgesprochen. Die Erzählperspektive des achtjährigen Kindes ermöglicht es umso mehr, die Starrheit und Verbohrtheit der Gesellschaftsordnung des 17. Jahrhunderts zu erkennen. Angus‘ Liebe zum Wissen, seine Naivität und Offenheit ermöglichen es, im Gegenzug die Engstirnigkeit anderer zu ermessen, deren Erkenntnismöglichkeiten von Anfang an durch ihre Vorannahmen beschränkt sind. Die Himmelskugel ist eine Liebeserklärung an das Forschen und Fragenstellen und zugleich eine bittersüße Erzählung über einen Jungen, der gefangen ist in einer Welt, die wenig Spielraum bietet für sozialen Aufstieg und Abweichung von der gesellschaftlichen Norm. Olli Jalonen wurde für diesen Roman bereits zum zweiten Mal in seiner Karriere mit dem renommierten Finlandia-Preis ausgezeichnet und diese Entscheidung ist absolut nachvollziehbar.