Das Objekt im finnischen Satz
von Ilse Winkler
dieser Text erschien im Juni 2016 in der Deutsch-Finnischen Rundschau Nr. 169, einer Zeitschrift der Deutsch-Finnischen Gesellschaft e.V.
Davon gibt es mehrere Arten, wogegen ja erstmal nichts einzuwenden ist. Eines heißt Totalobjekt, und da fängt der Irrsinn schon an. In einer ernstzunehmenden Grammatik findet sich folgender Satz: Das Totalobjekt, das auch Akkusativobjekt genannt werden kann, steht entweder im Genitiv oder im Nominativ. Alles klar? Und was nehme ich jetzt, Genitiv oder Nominativ? Oder ist das egal? Eigentlich ist ja der eine ein nominativförmiger und der andere ein genitivförmiger Akkusativ, wie andere Grammatiken das Phänomen präzisieren.
Ich bemühe mich, jeden Tag hinauszugehen und mit irgendeinem Finnen Finnisch zu sprechen. Ich weiß, dass ich die Objekte falsch verwende, im Nachhinein komme ich sogar manchmal drauf, warum. Es ist aber verzeihlich. Man hat mir erzählt, dass die Finnlandschweden das auch nicht beherrschen und trotzdem verstanden werden. Nur: Ich will es richtig machen, dafür bin ich ja hier. Übrigens stammt ein großer Teil der Finnlandschweden von Russen und Deutschen ab. Die haben vor einigen hundert Jahren entschieden, in Finnland zu bleiben, und lieber Schwedisch als Finnisch gelernt.
Einer der Gründe dafür mag der gewesen sein, dass in der finnischen Grammatik in hohem Bogen gedacht werden muss. Was will der ganze Satz sagen? In welche grammatische Konstruktion ist er eingespannt? Handelt es sich überhaupt um ein Totalobjekt, oder haben wir es nicht vielmehr wieder mit dem Sumpf der finnischen Sprache, dem Partitiv, zu tun? Findet die Aktion des Satzes gerade jetzt statt? Oder erst in der Zukunft? Lese ich zum Beispiel in einem Buch nur so herum oder lese ich es von Anfang bis Ende? Und ist das Objekt womöglich ein Pronomen, was wieder neue Denkweisen erfordert, denn das Pronomen hat eine gesonderte Akkusativform. Ist der Satz ein verneinender? Kommt der, der die Aktion ausführt, von rechts oder von links? Und, sehr wichtig: Welcher Wochentag ist heute? All das und noch viel mehr muss beim Formulieren beachtet werden. Wer eine winzige Kleinigkeit übersieht, behauptet, trotz richtiger Wortwahl, er habe die Katze gebügelt statt gestreichelt. Eine unvorsichtige Genitivendung - und schon hat man einen veterinärmedizinischen Notfall. Das entscheidende Kriterium ist, ob das Prädikat oder das Objekt begrenzt sind, oder ob es sich um einen Vorgang handelt, dessen Anfang und Ende nicht wichtig oder nicht definiert sind. Also: Gebügelt wird von Anfang bis Ende, gestreichelt nur nebenher.
Was diese Begrenzung angeht, hat man als Nicht-Finne überhaupt keine Chance. Im Fall der Paff!-Verben, wie unser Dozent die Verben nennt, die eine plötzliche Veränderung bewirken, muss man nämlich denken wie ein Finne. Die Paff!-Verben fordern natürlich ein Totalobjekt, weil sie etwas entscheidend verändern, also einen Zustand begrenzen und einen anderen hervorrufen. Der Dozent illustriert sie, indem er sich mit der linken Faust in die rechte Handfläche boxt und dabei "paff!" ruft. Und wie denkt ein Finne darüber, dass man jemandem eine reinhaut, also die Tätigkeit eines absolut als paff! aufzufassenden Verbs ausführt? Der Finne denkt: Das ist ein Verb der Berührung, und die ist nicht begrenzt. Also: kein Totalobjekt. Reinhauen ist also ein längerer Vorgang, Bügeln eine plötzliche Aktion.
Und weiter: Beschreibt das Objekt eine endliche Menge, oder ist es ein so genannter Stoffname? Esse ich also Brei in unbekannten Ausmaßen (Partitiv), oder esse ich ein klar umrissenes Butterbrot (Genitiv)? Sage ich, dass ich in der Kneipe Bier bestellt habe, ohne zu sagen, wie viel, oder nur ein Bier, weil ich mir nicht mehr leisten kann, denn das eine kostet unter Umständen auch schon acht Euro? Ausnahme: Ich rieche den Brei. Den ganzen, totalen Brei. Nicht im Partitiv. Aber nur, wenn ich nicht dran schnuppere, sondern ihn unabsichtlich und überraschend rieche. Da ist es egal, dass der Brei in unbestimmter Menge auftritt, denn 'riechen' ist ein Sinnesverb, das die Brei-Regel außer Kraft setzt und ein Totalobjekt erfordert. Und wenn das Totalobjekt im Plural steht, muss man wieder von vorne zu rechnen anfangen. Man kann zum Beispiel den Italiener kennen, aber nicht die Italiener, denn davon gibt es zu viele. Entsprechend kennt man nur einen Teil der Italiener, die dann im Partitiv daherkommen.
OK, das mit dem Wochentag war von mir erfunden und das mit der Richtung, aus der jemand kommt, auch. Das wäre auch viel zu leicht gewesen. Tatsächlich ist es für die Beugung des Objekts wichtig, ob das Subjekt den Ausgang des Geschehens beeinflussen kann oder nicht. Im Satz "Ich glaube, du solltest die Verbindung mit Annikki aufnehmen" hat das Subjekt 'ich' keine Macht darüber, ob das 'du' Annikki tatsächlich anruft, deshalb ist die Verbindung im Partitiv.
Aus dem gleichen Grund, nämlich der Ohnmacht über das weitere Tun, haben die Verben 'bitten', 'drängen', 'auffordern' oder 'empfehlen' ein Partitivobjekt. Nicht aber das Verb 'vorschreiben'. Das, was vorgeschrieben ist, hat gefälligst ausgeführt zu werden, also bekommt es ein Totalobjekt. Mit dem Befehlen ist es viel komplizierter, das kann Objekte im Genitiv, Partitiv oder Akkusativ haben. Keine Ahnung, warum, oder was was bewirkt oder bedeutet. Ich habe mir fest vorgenommen, nie im Leben einen finnischen Satz mit 'befehlen' als Prädikat zu bilden.
Sehr genau wird auch unterschieden, ob jemand eine neue Freundin aus einem bestimmten Grund braucht, etwa, weil er deprimiert ist, oder einfach nur so zum Spaß. Und ob man jemanden, der das Objekt bildet, immer wieder sieht, in vorhersehbaren Treffen, oder nur einmalig. Und ob zusammen mit dem Subjekt wir das Prädikat in der grammatisch richtigen Verbform oder in der umgangssprachlichen verwendet wird. Und ob man jemanden nur so ein bisschen verprügelt (zur Erinnerung: kein Paff!-Verb) oder ganz totschlägt. Und ob man darauf Einfluss hat, ob einer aus diesem Grammatikkurs auf die Straße läuft und sich vor eine Helsinkier Straßenbahn wirft, die das einzige Grün in diesem nordischen Frühling ist.