
Lena Frölander-Ulf : Wilma Wildpelz - ein Murmeltier gibt niemals auf
Buchbesprechung von Bettina Dauch, Mai 2025
dt. Erstausgabe: 2025 - Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart
finn. Originalausgabe: 2023 - Förlaget, Helsinki
Titel der schwedischsprachigen Originalausgabe: "Kampen om stenåkern - Rafsa Vildpälz"
aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger
Es ist Frühling und die Murmeltiere wachen nach ihrem langen Winterschlaf auf, so auch Wilma Wildpelz, ein eigensinniges und aufbrausendes Murmelmädchen, das mit seiner Sippe den Murmelhof auf einem Geröllfeld bewohnt. Der beste Freund der kämpferischen Wilma ist der eher besonnene Murmeljunge Knolle. Er hat vier Väter und eine große Familie, während sie zusammen mit ihrem Bruder Knurre und der kleinen Schwester Flora nur einen einzigen Vater, der schon lange nicht mehr nach Hause gekommen ist, und ihre Mama hat. Normalerweise halten die Mütter die Murmelfamilien zusammen. Wilma plagt wiederholt das schlechte Gewissen, weil sie nicht so großzügig sein kann wie Knolle. Gemeinsam versuchen die zwei ungleichen Nager, die Herausforderungen und Ungerechtigkeiten des Murmeltierlebens zu meistern.
Ein ganz eigenes Kapitel sind die ekligen Kreuzottern! Die bösen Schlangen, deren Anführer General Schwarzschwanz heißt, haben eine Grenze durch das Geröllfeld gezogen, so dass die Murmeltiere nur den Schattenhang abkriegen und die Schlangen das Territorium in der Sonne haben. Als Wilma und Knolle durch den Wald laufen, sehen sie plötzlich weiter unten eine Kreuzotter; weitere Schlangen kommen dazu und alle bewegen sich auf den Murmelhof zu. Wilma und Knolle gehen zurück, um die anderen Murmeltiere zu warnen. Da verkünden die Schlangen, dass es noch schärfere Regeln für die Murmeltiere geben wird. Bisher hatten die Kreuzottern bereits angeordnet, dass männliche erwachsene Murmeltiere von Frühjahr bis Herbst in den Wald verschwinden und bei ihrer Rückkehr zum Geröllfeld eine Abgabe zahlen müssen. Jetzt sagt der General, die Herbstabgabe in Form von Vorräten wird verdoppelt, der Murmeltierbezirk muss begrenzt werden, das Gelände wird weiter verkleinert und ab jetzt müssen auch halbwüchsige männliche Murmeltiere im Sommer das Geröllfeld verlassen.
Wilma ist aufgebracht und wütend, weil ihre Artgenossen die Regeln einfach hinnehmen. Im Streit schlägt sie Knolle die Nase blutig und rennt in den Wald. Als sie zurückkehren will, hört sie zufällig, wie sich unterhalb des Felsens zwei Schlangen unterhalten und sich dabei als Widersacher des Generals entpuppen. Sie lästern über den schwachen Anführer und dessen schmächtigen Sohn, der kürzlich verschwunden ist. Irgendwie würden sie die ganze Murmeltier-Sippe gerne komplett loswerden, aber Wilma kann sich noch keinen Reim auf das Gehörte machen. Was war das für ein "Murmelaufstand" und wann genau war die "alte Zeit", die von den beiden erwähnt wurde?
Bald darauf kreuzen sich eher zufällig die Wege von Wilma und dem mageren Kreuzotter-Jungen Zickzack, der sich bald als der vermisste Sohn des Generals outet. Er steckt in der Klemme und vertraut Wilma an, dass er von zuhause abgehauen ist. Zickzack kommt ziemlich eingebildet daher. Wiederholt kommt die im Schlangen-Clan erlernte Überheblichkeit durch. So merkt er an, Wilma sei für ein Murmeltier gar nicht so dumm, und wundert sich sogar, dass sie überhaupt einen eigenen Namen hat. Er vertraut ihr jedoch an, dass er seinen Clan verraten will, dafür würde ihn seine Familie verstoßen, was bei den Schlangen gang und gäbe ist. Man hat zu gehorchen und jede Form von Rebellion wird bestraft. Vor allem die Kinder des Anführers müssen sich beugen. Im Wald hingegen kann er frei sein. Viele soziale und empathische Ansätze kennt er aus seiner Gemeinschaft gar nicht, in der es nur um Gehorsam geht. Er weiß nicht, was Freundschaft ist oder wofür man sich entschuldigt, und findet es befremdlich, als Wilma ihn fragt, ob er sich wehgetan hat. Er erzählt, wie unbarmherzig alles bei den Schlangen zugeht. Väter beißen ihre Kinder tot, wenn sie irgendwie missraten sind. Die Artgenossen rempeln sich an, machen sich übereinander lustig und lachen, wenn jemand etwas falsch macht. Als er ihr wie selbstverständlich ein Arbeitskommando gibt, da er die Minderwertigkeit ihrer Art verinnerlicht hat, gibt Wilma ihm Kontra, ist aber trotz allem bereit, ihm zu helfen. Die beiden lernen so einiges voneinander und unterstützen sich gegenseitig. Wie versprochen begleitet er sie zurück zum Murmelhof, über einen geheimen Weg, der durch einen außergewöhnlichen Tunnel und einen sehr großen erhellten Raum führt. Was hat es damit auf sich? Als die beiden auf ihrem weiteren Weg von den Schlangen überrascht werden, verurteilen diese den kleinen Zicksack zu einer Strafe dafür, dass er nicht nur den Clan verraten, sondern auch noch ein Murmelfreund geworden ist. Nach einem dramatischen Kampf schaltet Wilma ihren alten Freund Knolle ein…
In der schönen und spannenden Geschichte geht es im Wesentlichen um das Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher Gemeinschaftsformen sowie die Überwindung von Vorurteilen und starren Grenzen. Die Murmeltiere stehen für eine etwas chaotische, aber liebevolle und gemütliche Gemeinschaft der Sammler, bei denen Werte wie Empathie und Hilfsbereitschaft zählen, während die Schlangen für eine kalte, hierarchische Gemeinschaft und ein streng autoritäres Regime stehen, in dem Ungehorsam hart bestraft wird. Doch Wilma und Zickzack gehen jeweils ihren eigenen Weg und vermitteln dadurch eine schöne und wichtige Botschaft: Erst wenn Wesen zu Individuen werden, kann Freundschaft überhaupt erst entstehen.
Die Sprache der in 24 Kapitel unterteilten Erzählung ist auf dezente Weise an die Protagonisten angepasst und das Buch von der Autorin selbst durchgehend illustriert worden. Die Zeichnungen kommen mal als diskretes Beiwerk, mal als ausdrucksstarke, seitenfüllende Szenendarstellungen daher. Auf der ersten Doppelseite ist zur Orientierung das Geröllfeld mit den verschiedenen Bereichen dargestellt. In Finnland ist das Buch, das 2024 für den Runeberg Junior-Preis nominiert war, der erste Teil der Kampen om stenåkern-Trilogie, deren zwei Fortsetzungsbücher Rafsa Rotlös und Rafsa Stentramp bereits im schwedischsprachigen Original erschienen sind. Das empfohlene Lesealter wird mit etwa 8-12 Jahren angegeben, kann aber gerne um einige Jahr(zehnt)e erweitert werden.