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Sofi Oksanen : Baby Jane

Buchbesprechung von Frank Rehag, Februar 2023

dt. Erstausgabe: 2023 - Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
finn. Originalausgabe: 2005 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Baby Jane"
aus dem Finnischen von Angela Plöger
Auf 215 Seiten erzählt Sofi Oksanen ein komplexes und spannendes Psychodrama, das nach der Lektüre noch nachwirkt. Angelehnt ist dieser Roman an den Filmklassiker "Was geschah wirklich mit Baby Jane" aus dem Jahr 1962, in dem es um die psychopathische Beziehung zweier Schwestern geht, die von gegenseitiger Abhängigkeit, Eifersucht und Hass bestimmt wird. Ähnlich ist es in diesem Roman. Statt Schwestern sind es in diesem Buch die beiden Hauptfiguren, die in einer lesbischen Beziehung leben: Piki und die namenlose Ich-Erzählerin, zwei junge Frauen, bei denen jeweils eine Depression diagnostiziert wurde, bevor sie sich kennenlernten. Zu Beginn der Beziehung ist Piki die Superfrau, die schillernde Geliebte, die leuchtende und geistreiche Königin der Lesbenbars im Helsinki der 1990er Jahre. Gemeinsam ziehen die beiden Frauen das Versandgeschäft "Susanna" auf, dessen Kunden hauptsächlich Männer mit speziellen Wünschen sind, vorwiegend gebrauchte Damenunterwäsche und -strümpfe. Diese eigentümliche Geschäftsidee und deren Beschreibung lässt einen manchmal ekeln und manchmal schmunzeln. Nach und nach wird aus der leidenschaftlichen Liebe jedoch eine kraftraubende Beziehung, die von der Ich-Erzählerin mehr und mehr hinterfragt wird. Piki lebt über ihre Verhältnisse, hat einen übermäßigen Alkoholkonsum und ist wenig kritikfähig. Die Königin der Partylokale leidet an Panikattacken und wird zunehmend als Frau wahrgenommen, die nicht in der Lage ist, mit der Straßenbahn zu fahren, ihre täglichen Einkäufe zu erledigen oder den Müll herunterzubringen. All diese alltäglichen Aufgaben wie auch das Wäschewaschen werden von Pikis ehemaliger Geliebten Bossa erledigt, wegen der sich bei der Ich-Erzählerin immer mehr Eifersucht und auch Gewalt Bahn brechen. Trotz ihres Wissens um ihre Krankheiten machen sich die beiden Frauen mit psychischen Sticheleien das Leben gegenseitig schwer bis zum bitteren Ende, an dem Piki von ihrer einst leidenschaftlich Geliebten das einstmals einzige von ihr eingeforderte Versprechen erfüllt haben möchte…
Baby Jane ist eines der Frühwerke Sofi Oksanens aus dem Jahr 2005. Dass es erst jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, ist sowohl dem gesteigerten Bewusstsein für eine queere Szene als auch der erhöhten Akzeptanz mentaler Gesundheitsprobleme geschuldet, die heutzutage wesentlich ausgeprägter ist als noch vor knapp zwanzig Jahren – sowohl in Finnland als auch in Deutschland. Vermutlich auch deshalb ist Sofi Oksanen nicht mit dieser abgewandelten unheilvollen Art einer Ménage à trois durchgestartet, die im Helsinki der Jahre 1995-2002 spielt, sondern mit ihrem nachfolgenden preisgekrönten Roman Fegefeuer, obwohl Oksanens typische Zutaten und Romankriterien auch schon bei Baby Jane vorhanden sind: meisterhafte Erzählkunst, ungemütliches und schwieriges Thema gepaart mit der inneren Zerrissenheit junger Frauen vervollständigt durch Aufhänger aus dem eigenen Leben, denn Oksanen beschreibt sich selbst als autofiktionale Autorin, die gerne Autobiografisches und reale Ereignisse mit erdachten Geschichten vermischt. In diesem Buch sind es insbesondere die detailreichen Beschreibungen charakteristischer Erscheinungen bei Depressionen bzw. Panikstörungen, die den Schluss zulassen, dass entweder sehr gründlich recherchiert wurde oder sie es selbst bzw. im persönlichen Umfeld in irgendeiner Art erlebt hat. Anschaulich stellt sie dar, wie Unwägbarkeiten das Leben prägen und plagen können, sobald man in Gefangenschaft dieser Krankheit gerät – und wie Menschen, die nicht davon betroffen sind, reagieren bzw. nicht reagieren und sich lieber schnell der heilen Welt zuwenden. Trotz dieser Tragik ist Baby Jane dank des lockeren Schreibstils und der enthaltenen satirischen Elemente ein flüssig zu lesendes und in Teilen gar unterhaltsames Buch, aufgrund der Thematik aber auch ein sehr wichtiges. Klare Leseempfehlung – für Frauen und Männer!

Am Ende des Buches gibt es ein von der Übersetzerin Angela Plöger zusammengestelltes Glossar, das auch für Menschen mit einer Affinität zu Finnland bzw. Helsinki einige neue Informationen bereit halten könnte. Allerdings hätte man die mehrmals im Buch als Black Parade (eigentlich Musta Paraati) erwähnte Band durchaus mit aufnehmen können, was nun an dieser Stelle ergänzend geschieht: Musta Paraati finnische Post-Punk/Gothic-Rock-Band. Die ursprüngliche Band war in den 1980er Jahren nur wenige Jahre lang aktiv, existiert aber in geänderter Formation wieder seit 2015.
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Mülgaustraße 159
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