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Arne Nevanlinna : Marie

Buchbesprechung von Annemarie Leibenguth, September 2011

dt. Erstausgabe: 2011 - Bastei Lübbe, Köln
finn. Originalausgabe: 2008 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Marie"
aus dem Finnischen von Angela Plöger
Bevor er diesen ersten Roman veröffentlichte, hat der aus einer finnlandschwedischen Familie stammende Arne Nevanlinna bereits ein erfülltes Arbeitsleben als Architekt und Architekturprofessor absolviert. Im Alter trennt den 1925 geborenen Autor aber doch immerhin noch ein Vierteljahrhundert von seiner Protagonistin Marie Elise Myhrborgh, geborene Céline, deren 100. Geburtstag das Gerüst des Romans Marie bildet. Vom Morgen über den Vormittag, den Mittag und den Nachmittag zum Abend verbindet Nevanlinna die Alltagsstationen im Pflegeheim mit Maries Erinnerungen an ihr Leben. Aus disparaten Elementen französischer, deutscher, finnischer und finnlandschwedischer Kultur und Geschichte konstruiert er das Leben eines außergewöhnlichen Menschen und verbindet Zeit, Raum und Menschlichkeit durch unerwartete Verwandtschaftsbande. Geboren wird Marie am 31.12.1899 in Straßburg in eine Familie, die sowohl französische als auch deutsche Wurzeln hatte und zu allen Zeiten mit Mühe und großer Vorsicht versuchte, die politische und kulturelle Gratwanderung zwischen den verfeindeten Mächten Frankreich und Deutschland zu bewältigten. Aufgewachsen mit einem charismatischen und humorvollen älteren und zwei farb- und humorlosen jüngeren Brüdern, dreisprachig Französisch - Elsässisch - Deutsch, zwischen zwei völlig unterschiedlichen Schulfreundinnen, lernt sie im Kriegslazarett den von den Åland-Inseln stammenden finnlandschwedischen Arzt Wilhelm Myhrborgh - von ihr zeitlebens Guillaume genannt - kennen und folgt ihm ins gerade unabhängig gewordene Finnland. Dort macht er als Chirurg Karriere und sie kämpft sowohl mit den beiden Sprachen als auch mit den Umgangsformen der Finnen, Finnlandschweden und Russen, was sich unter anderem in ihren Schwierigkeiten mit den Dienstmädchen Martta und Marja zeigt. Marie rettet sich in eine geheimgehaltene, aber ausgelebte Liebe zum Seemann Gabriel, dem jüngeren und wesentlich humorvolleren Bruder ihres Ehemannes, und in eine (damals wie zu Pflegeheimzeiten unerwünschte) Freundschaft mit der Russin Tatjana. Sie versucht, wenigstens ihrem Sohn Edouard/Edvard die französische, als warm und respektvoll empfundene Lebenskultur mitzugeben, während ihr die Grobheit der Finnen und Finnlandschweden, die dumpfe und duzende Vertraulichkeit kombiniert mit kühler körperlicher Distanz, immer unbegreiflich bleibt und sie sich ironisch darüber lustig macht. Viele, nicht unbedingt freiwillig komische Situationen ergeben sich aus Maries nicht der aktuellen Umgebung angepassten kulturellen Kompetenz und ihrem Mangel an geschichtlichem Interesse. Das 20. Jahrhundert war eine herausfordernde Zeit, sowohl an Maries Geburtsort Straßburg als auch in Helsinki, wo sie am 31.12.1999 einsam, aber - ohne es zu wissen - nicht ohne verwandtschaftlichen Beistand stirbt. Die Geschichte geht weiter, allerdings verheißt die Aussicht auf Weihnachten 2004 in Khao Lak nichts Gutes für die Überlebenden.
Arne Nevanlinna hat die Geschichte einer starken, auf stille Weise kämpferischen Frau geschrieben und nebenher auch eine Geschichte seines nicht weniger kämpferischen Heimatlandes. Während Marie unter schwierigen Bedingungen den aufrechten Gang übt und so würdevoll wie irgend möglich altert - was zu den bewegendsten Momenten des Romanes gehört, wird die auch nicht mehr ganz junge Republik Finnland erwachsen und lernt, mit den inneren Widersprüchen umzugehen. Lebensalltag und Erinnerungen von Marie mischen sich assoziativ, was die Lektüre manchmal nicht ganz einfach macht, da Ort und Zeit sich erst im Lauf eines Abschnitts klären lassen. Die Erzählweise der dritten Person wirkt wie eine Verneigung vor der würdevollen älteren Dame, deren Vielfältigkeit und Anpassungsbemühungen auch typographisch auf dem Umschlag gezeigt werden, indem Marie als Name und Titel in neun verschiedenen, nebeneinander stehenden und sich teilweise überlagernden Typen gesetzt ist. Eine Geschichte vom Sich-Verändern und Sich-selbst-treu-Bleiben.
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