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Tommi Kinnunen : Wege, die sich kreuzen

Buchbesprechung von Frank Rehag, Mai 2020

dt. Erstausgabe: 2018 - Deutsche Verlags-Anstalt in der Verlagsgruppe Random House, München
finn. Originalausgabe: 2014 - Werner Söderström, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Neljäntienristeys"
aus dem Finnischen von Angela Plöger
Über einen Zeitraum von etwas mehr als einhundert Jahren wird die Geschichte einer Familie aus dem Norden Finnlands erzählt, aus der Sicht von vier Personen, die unterschiedlichen Generationen angehören: Maria, Marias Tochter Lahja, Lahjas Schwiegertochter Kaarina und Lahjas Ehemann Onni. Maria ist die Stammmutter in diesem Roman und das, was man heutzutage eine taffe Frau nennen würde. Resolut beschreitet sie ihren Lebensweg, gesellschaftliche Zwänge sind ihr fremd. Ihre Ausbildung zur Hebamme schließt sie erfolgreich ab und trotz des Misstrauens, dass man ihr in jungen Jahren entgegenbringt, geht sie ihren beruflichen Weg und erarbeitet sich einen guten Ruf. Sie erfüllt sich den Wunsch nach einem Kind und zieht es alleine groß, weil sie frei und unabhängig sein will. Ihre Wünsche treiben sie bis zum Bau ihres eigenen Hauses, dass sie nach und nach immer weiter vergrößert, bis der Krieg ihr alles nimmt. Nicht aber die Familie und den Lebensmut, an einem anderen Ort neu anzufangen. Das Leben Lahjas ist geprägt durch die dominante Mutter. Auch sie schafft es, in einer damals von Männern dominierten Branche, der Fotografie, Fuß zu fassen und ihrer Leidenschaft beruflich nachzugehen. Auch sie bringt zunächst ein uneheliches Kind, Tochter Anna, zur Welt. Im Gegensatz zu ihrer Mutter sehnt sie sich jedoch nach einem Mann an ihrer Seite. Sie heiratet Onni und bekommt mit ihm zwei weitere gemeinsame Kinder: Helena und Johannes. Onni ist ihr ein treusorgender Ehemann und den Kindern ein guter Vater, auch für Anna. Glücklich wird sie dennoch nicht, Onni kann ihr nicht die körperliche Erfüllung geben, nach der sie sich sehnt. Lahja lässt sich zu einer folgenschweren Tat hinreißen und wird mehr und mehr zu einer verbitterten Frau. Insbesondere Kaarina, Johannes' Ehefrau, bekommt die Verbitterung Lahjas zu spüren. Nichts kann sie ihrer Schwiegermutter recht machen, selbst nach vierzig Jahren siezen sich die beiden Frauen noch. Doch Kaarina ist es schließlich, die mit einem Dachbodenfund das traurige Familiengeheimnis lüftet...
Nach Beendigung der Lektüre sollte man unbedingt noch einmal zum Anfang des Buches gehen und erneut den Text zum Gesundheitszentrum im Jahre 1996 lesen, der sich mit dem nun gewonnenen Wissen final erschließt. Als Keimzelle zu diesem Debütroman, der wochenlang auf dem vordersten Platz der finnischen Bestsellerliste stand und dem sowohl Leser als auch Kritiker in höchstem Maße zugetan waren, dienten Tommi Kinnunen Familienfotos in den Alben seiner Großmutter. Eines dieser Bilder zeigt junge Praktikantinnen 1920 in einem Fotoatelier, ein weiteres das am Kriegsende niedergebrannte Kuusamo. Um all diese Motive mit den vielen Details herum spann er die hier vorliegenden Geschichten. Es zeugt von Brillanz und Raffinesse, wie Kinnunen jeder der vier Personen in deren Erzählebene Ereignisse in einzelnen Jahren zuschreibt, ohne sich inhaltlich zu wiederholen. Die geschilderten Momentaufnahmen fügen sich zu einem letztlich klaren Gesamtbild dieser Familie zusammen. Insbesondere die letzte Erzählebene, die Onni zu Wort kommen lässt, rundet diesen Roman ab und liefert dem Leser die Tragik in Onnis und Lahjas Leben. Kinnunens Erzählstil ist dabei stets klar und schnörkellos. Mit kurzen gehaltvollen Sätzen gelingt es ihm, jedem der Protagonisten eine eigene Stimme zu geben, jeder Erzählebene eine eigene Ausstrahlung - hierzu gebürt aber auch der Übersetzerin Angela Plöger ein Lob. Symbolträchtig ist die regelmäßig genannte 'Vierwegekreuzung', in die die Familienmitglieder von ihrem Haus einsehen können. Jede der vier Personen hat ihren eigenen Weg eingeschlagen und dennoch kreuzen sich alle, sämtliche Einzelschicksale sind miteinander verknüpft. Wege, die sich kreuzen kann durchaus auch als Aufforderung zum Miteinanderreden verstanden werden. Kommt es einmal zu Konflikten, bleibt vieles in dieser Familie unausgesprochen, Blickkontakte werden vermieden. Das zu Beginn lebhafte und fröhliche Haus wird mit der Zeit immer freudloser, in dem schlussendlich alle gemeinsam allein sind. Absolute Leseempfehlung!
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Frank Rehag / Birgit Arnold
Mülgaustraße 159
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