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Martta Kaukonen : Therapiert

Buchbesprechung von Bettina Dauch, April 2023

dt. Erstausgabe: 2022 - Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe, München
finn. Originalausgabe: 2021 - Werner Söderström Ltd. (WSOY), Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Terapiassa"
aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
Was führt Ira im Schilde? Gleich zu Beginn stellt sich die merkwürdige junge Frau als kaltblütige Mehrfachmörderin vor. Alles ihre Haltung, ihr Tonfall, ihre Ausdrucksweise lässt auf eine astreine Psychopathin schließen. Nach wenigen Seiten beschließt Ira, eine Therapie zu beginnen, und wendet sich an eine Star-Therapeutin namens Clarissa, die als Nächste zu Wort kommt. Sie gilt als Expertin für Opfer sexuellen Missbrauchs und tritt als solche im Fernsehen auf. Sie will Ira helfen und sie retten, doch von Anfang an ist irgendetwas dubios an der Sache. Sie spricht in Rätseln über ihre erste Begegnung mit Ira und die darauffolgenden Sitzungen.
Ira will die Therapeutin benutzen, um im Falle einer Mordanklage wegen Unzurechnungsfähigkeit mildernde Umstände zu bekommen. Sie schreibt in einem abfälligen Ton über Clarissa, die sich medial in Szene zu setzen weiß. Clarissas Mann Pekka hingegen spricht mit Respekt über seine Frau, deren Praxis sich im Eigenheim befindet, so dass er die Patienten regelmäßig ein- und ausgehen sieht. Er analysiert die Situation der Patienten und ahnt bald, dass Ira wieder eine der ganz besonderen Patientinnen seiner Frau wird, die er selbst mit "Prinzessinnen" betitelt. Der Vierte im Bunde, aus dessen Perspektive ein Teil der Erzählungen verfasst ist, ist ein Journalist namens Arto, der Clarissa für die größte finnische Tageszeitung interviewen soll. Auch er redet eher abschätzig über sie. Er überlegt, wie er der stets professionell auftretenden Therapeutin etwas über ihr Privatleben entlocken könnte. Über sein eigenes Leben erfährt man zunächst nur, dass er Witwer ist, nach wie vor um seine Frau Marja trauert und ein ausgeprägtes Alkoholproblem hat, das ihn bereits mehrfach fast den Job gekostet hat.
Ira legt bei ihren Erzählungen eine zynische Haltung gegenüber ihrer Therapeutin sowie Therapien allgemein an den Tag. Seit ihrem 10. Lebensjahr war sie mehrfach erfolglos in Therapie. Sie hat eine Essstörung, ritzt sich und hat sich von ihren Gefühlen komplett abgespalten. Wiederholt schildert sie ihre innere Gemütslage und erzählt von ihren diversen Suizidversuchen, die immer missglückten, weshalb sie eines Tages entschieden hat, den Hass nach außen zu kehren. Sie denkt ständig ans Töten und wird immer wieder von sadistischen Fantasien erfasst. Irgendwann berichtet sie, wie sie vor zehn Jahren in die Fänge des "Scheißkerls" geraten ist. Als sie beginnt, Kohlezeichnungen von damals bei Clarissa in der Praxis liegen zu lassen, erfahren wir nach und nach mehr über ihr Trauma mit dem "Scheißkerl" und dem Käfig… Ihrer Therapeutin tischt sie jedoch zunächst irgendeine Geschichte auf, um gezielt deren Mitgefühl zu wecken.
Clarissa hingegen ist zutiefst an Iras Befinden interessiert. Sie erspürt augenblicklich etwas Besonderes, fast Bedrohliches. Aus ihrer eigenen Vergangenheit erfahren wir, dass sie von der Erinnerung an einen jungen Mann namens Riku heimgesucht wird, an dessen Tod sie sich schuldig fühlt. Bei Ira diagnostiziert sie eine schwere Depression. Sie hat in Finnland etliche Promis therapiert, auch Politiker. Bisher gab es drei Fälle, in denen sie den Suizid ihrer Patienten nicht verhindern konnte. Auch der ominöse Riku gehört dazu, der sich als 15-jähriger vor den Zug geworfen hat.
Pekka erweckt den Eindruck eines treuen und zuverlässigen, aber auch besorgten Ehemanns, der neuerdings befürchtet, dass seine Frau ihn betrügt. Er stößt durch Zufall auf Iras Akte sowie die Zeichnungen und fühlt sich augenblicklich beklemmt. Wollen die Bilder ihm persönlich etwas sagen? Wie kommt er darauf? Er versucht, die Zeichnungen rational zu analysieren und fühlt sich wiederholt direkt angesprochen. Warum? Sein Leben scheint davon abzuhängen – inwiefern? Über Pekkas Betrachtungen zu den Zeichnungen erfahren wir, dass darauf ein böser Mann sowie ein Käfig in einem Keller abgebildet ist. Die Bilder verfolgen Pekka bis in den Schlaf, er hat Albträume von dem bösen Mann auf den Zeichnungen… Auch Arto spricht zunehmend in Rätseln. Mehrmals erwähnt er eine Frau aus seiner Vergangenheit, die er heimlich beobachtet. Er hat irgendein Geheimnis, das nicht auffliegen soll, und beschließt, sich das Leben zu nehmen. Vor seinem Tod will er sich jedoch noch von "ihr" verabschieden…
Der Roman ist in sehr kurze Kapitel unterteilt, in denen das Geschehen aus der Sicht der vier Hauptfiguren beschrieben wird. Schon auf den ersten Seiten kommt Spannung auf, da man sich fragt, was sich hinter den Anspielungen der Protagonisten verbirgt. Die Lektüre ist durchgehend kurzweilig und im letzten Drittel des Romans nimmt die Erzählung noch deutlich mehr Fahrt auf. Nach und nach kommen überraschende Dinge ans Licht und den Lesern offenbaren sich unerwartete Zusammenhänge. Der Autorin ist es auf bemerkenswerte Weise gelungen, ihre Leser ohne Spannungsabfall fast bis zum Schluss überzeugend an der Nase herumzuführen und dabei gleichzeitig auf sensible Weise das Thema sexueller Missbrauch zu behandeln.
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