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Elina Backman : Polarnacht
('Saana Havas'-Reihe, Bd.3)

Buchbesprechung von Bettina Dauch, Januar 2025

dt. Erstausgabe: 2024 - Piper, München
finn. Originalausgabe: 2022 - Otava, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Ennen kuin tulee pimeää"
aus dem Finnischen von Alena Vogel
Inari im Hitzesommer 1998. Die Teenagerinnen Inga und Anet sind mit einem alten Auto namens Knochenschüttler unterwegs. Sie fühlen sich frei und genießen die nachtlose Nacht, in der am Wochenende alles möglich erscheint…

Helsinki im Herbst 2019. Saana Havas, die sich mit ihren True-Crime-Podcasts einen Namen gemacht hat, telefoniert mit ihrer Tante Inkeri, die ihr rät, sich mit Fragen über ihre kürzlich verstorbene Mutter an ihren Vater zu wenden, der jedoch in Lappland wohnt und zu dem sie kaum noch Kontakt hat. Doch dann tritt ihre Chefin Mia mit einer ungewöhnlichen Bitte an sie heran: Eine Bekannte namens Heta Weckmann, eine Helsinkier Juristin, die bereits für die Firma gearbeitet hat, hatte eine jüngere Schwester namens Inga. Diese wurde 1998 im Alter von 17 Jahren in der kleinen Siedlung Angeli bei Inari ermordet und Heta kann nicht akzeptieren, dass die Tat nie aufgedeckt wurde. Saana soll mit ihrem Podcast helfen, frischen Wind in die Ermittlungen zu bringen. Inga war zuletzt in Ivalo gesehen und ein paar Tage später in Angeli tot aufgefunden worden, erwürgt und übel zugerichtet. Heta übergibt Saana ihre Unterlagen, eine Art Tagebuch, in dem sie über die Jahre Informationen und Gedanken zu dem Fall zusammengetragen hat. Saanas Entscheidungsfindung wird etwas unnötig in die Länge gezogen, bis sie zusagt, für ca. zwei Wochen nach Inari zu reisen, wo sie in einer von Heta bereitgestellten Hütte wohnen kann und bei dieser Gelegenheit auch den Vater in Enontekiö treffen will, um über den Tod der Mutter zu sprechen. Auf Seite 68 sitzt sie endlich im Flugzeug. Sie fliegt nach Kittilä, von wo ihr Vater sie zunächst zu seinem Haus nach Enontekiö fährt. Hier fängt Saana an, Auszüge aus den Hetas Aufzeichnungen zu lesen, wobei sich die Texte weniger wie Tagebucheinträge lesen, sondern eher wie der Versuch, eine publikationsfähige Erzählung zu schreiben, es wird sehr viel ausgeschmückt und fast poetisch ausformuliert.

Nachdem Saana mit ihrem Vater wieder etwas warm geworden ist, leiht er ihr eines seiner Autos, mit dem sie nach Inari fährt; die Strecke der über vierstündigen Fahrt wird eindrucksvoll beschrieben. In Inari bekommt sie den Hüttenschlüssel von Hetas Cousin Johan ausgehändigt. Die Hütte ist etwas außerhalb des Zentrums von Inari und am See gelegen. In der Tankstelle von Inari fällt ihr ein Aushang ins Auge, auf dem es um ein seit wenigen Tagen vermisstes 17-jähriges Mädchen geht. Schon wieder? In Ivalo trifft sie sich mit dem Polizisten Seppo Laitinen, der seinerzeit im Fall Inga Weckmann ermittelt hatte und den putzigen Spitznamen Myski trägt – der allerdings unangenehmerweise seinem penetranten Moschus-Rasierwasser-Gestank geschuldet ist, so dass man sich fortan stets einen eher abstoßenden Mann vorstellt, der sich jedoch immerhin als kompetenter Ermittler entpuppt. Auch er gibt Saana seine Unterlagen; er hat damals die Vermisstenmeldung von Inga aufgenommen, deren Leiche zwei Tage später von einem Rentierzüchter gefunden wurde. Bisher hatte es nur zwei Verdächtige gegeben, die jedoch jeweils wieder entlastet werden konnten.

Während Saana anhand von Hetas Aufzeichnungen, alten Zeitungsartikeln sowie Gesprächen mit einer Reihe von Einheimischen und mit Myskis Hilfe versucht, eine neue Spur zu Ingas Mörder zu finden, bleibt das Mädchen von der Vermisstenanzeige, die 17-jährige Silja, weiter verschwunden. Hat der Mörder von vor 20 Jahren abermals zugeschlagen? Immerhin ergeben sich im Laufe der Ermittlungen immer mehr Parallelen zwischen den beiden jungen Frauen. Ingas autistischer Cousin Johan war seinerzeit verdächtigt worden und hat Silja in letzter Zeit oft gestalkt. Anet war Ingas beste Freundin und Silja hat hin und wieder auf ihr jüngstes Kind aufgepasst. Anets Mann Joni hat beiden Mädchen Klavierunterricht erteilt, was Saana über den einheimischen Rap-Musiker Mihkku erfährt, der seinerseits die Singstimmen beider Mädchen in seine Musik mit aufgenommen hat. Ingas Ex-Freund Pyry Palokka, der die damals von Inga ausgegangene Trennung nie verwunden hat und ihr danach noch lange nachgestellt hat, hatte kürzlich auch ein Date mit der jungen Silja, das nicht sehr glücklich ausgegangen ist. Zum Fall Inga gibt er allerdings einen interessanten Hinweis, da er ihr damals auch am Abend ihres Verschwindens gefolgt war: Sie war an einer vermeintlich unbeobachteten Stelle in einen dunklen Kombi eingestiegen. Auch Silja wurde zuletzt auf dem Beifahrersitz eines dunklen Autos gesehen. Am unheimlichsten ist jedoch die Tatsache, dass bei beiden Mädchen die gleiche handschriftliche Nachricht "Ich bin das Licht, das dich ins Dunkel führt", sowie ein Amethyst-Stein gefunden wurde.

Im weiteren Verlauf kommt auch Saanas Freund Jan vom KRP nach Inari gereist und klinkt sich in die Untersuchungen ein. Nach und nach weicht das Bild, das sich Saana von der verstorbenen Inga macht, immer weiter von der ursprünglichen Beschreibung durch Heta ab. Inga muss eine sehr komplexe und widersprüchliche Persönlichkeit gewesen sein, aber auch Heta wirkt immer undurchsichtiger und fast schon gefährlich. Inga hatte offensichtlich einen heimlichen Geliebten, der möglicherweise zu ihrem Mörder wurde. Nach ihren Aufzeichnungen zu urteilen, scheint Heta im Laufe der vergangenen Jahre selbst ebenfalls eine geheime Affäre gehabt zu haben. Als Saana beschließt, Heta nach dem geheimnisvollen 'Moormann' zu fragen, ist diese nirgends mehr erreichbar. Und wer ist diese Bambi, die in Hetas Notizen mehrfach erwähnt wird? Als Leser steht man immer wieder vor neuen offenen Fragen. Womöglich hat doch Anets und Jonis Nachbar, der Schuldirektor Yli-Maininki, etwas verbrochen? Und was war mit dem Schauspieler Juha Järvi, der in seinem Anwesen bei Angeli seinerzeit regelmäßig zweifelhafte Gelage organisierte und einigermaßen dubios erschien? Er wurde schon einen Monat nach Ingas Ermordung selbst tot im nahegelegenen See gefunden. War es wirklich ein Angelunfall? Auch der ehemalige Polizeichef Jaatinen scheint etwas zu verbergen zu haben…

Elina Backman ist es meisterhaft gelungen, die Leser mit den vielen vielschichtigen Charakteren immer weiter zu verwirren, auch wenn das Tempo stark variiert. Zu Beginn kommt die Handlung eher schleppend in Gang und einige für die Geschichte irrelevante Gedanken werden eingeflochten. Der Alltag von Saana und Jan wirkt trivial. Doch danach folgen Hunderte von Seiten, die man vor Spannung kaum mehr aus der Hand legen möchte. Und die Auflösung am Ende geht plötzlich ganz schnell vonstatten.

Die Haupt-Erzählebenen, alle in der dritten Person verfasst, sind aus der Sicht von Saana, Myski oder zu einem kleineren Teil auch Jan geschildert. Hinzu kommen kurze Einschübe mit Rückblenden aus dem Jahr 1998. Zwischen den Handlungsabschnitten hat die Autorin mehrere eindrückliche Landschaftsbeschreibungen untergebracht und diverse Hintergrundinformationen eingearbeitet. Saana beschreibt die Atmosphäre in der Hütte, wie die Dunkelheit und Einsamkeit unheimlich auf sie wirkt. Im Zusammenhang mit Johan wird das Autismus-Spektrum näher beleuchtet. Ferner gibt es Wissenswertes zu Inari, Angeli und der Umgebung. Die Schauplätze sind im Großen und Ganzen authentisch und wurden nur teilweise etwas umgeschrieben (so hat z.B. das Hotel-Restaurant Kultahippu in Ivalo in der Erzählung den Namen Vaskooli bekommen). Auch der Klimawandel wird angesprochen, sowie die Probleme, die sich für die Rentierzucht ergeben, seit sich die Jahreszeiten nicht mehr so unterscheiden wie früher. Selbstverständlich wird auch das Nordlicht thematisiert. Das Thema Polarnacht wird auffallend oft erwähnt und hat es sogar auf den Buchtitel der deutschen Übersetzung geschafft, obwohl weder das Verbrechen in einer Polarnacht stattgefunden hat noch Saana zu dieser Zeit vor Ort ist. Ihr Aufenthalt fällt in die zweite Oktoberhälfte, doch das Nahen des Stichtags am 4. Dezember scheint sie sehr zu beschäftigen, denn die Tageslichtlänge nimmt jetzt rasant ab. Der Original-Titel lautet daher mit treffender Doppeldeutigkeit "Bevor die Dunkelheit kommt". Was immer wieder auffällt, vor allem solchen Lesern, die Inari deutlich besser kennen als Helsinki, ist die klare Südlicht-Perspektive, die in Saanas Beschreibungen und Gedanken zum hohen Norden immer wieder durchklingt. Es ist nicht zu überlesen, dass hier ein ausgesprochener Stadtmensch in den Norden gereist ist. Das ganze Gegenteil ist ihr Vater: ein waschechter Naturmensch, der von Rentieren, Jagd und Fischfang lebt.

Am Ende ist ein hochspannender Roman entstanden, der auch problemlos ohne Kenntnis der ersten beiden Bände Brandmal und Dunkelstrom gelesen werden kann. Nun kann man auf das nächste Abenteuer von Saana Havas gespannt sein, das – so viel verrät die Autorin bereits – auf einer Insel und wohl wieder weiter im Süden Finnlands stattfinden wird.
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