
Juhani Aho : Der Eremit des Friedens
Buchbesprechung von Frank Rehag, März 2025
dt. Erstausgabe: 2024 - Braumüller Verlag, Wien
finn. Originalausgabe: 1916 - Otava, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Rauhan erakko"
aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
»Der Weltfrieden wird nicht Wirklichkeit, wenn niemand an ihn glaubt. Seine Wirklichkeit beginnt sofort, wenn jemand an ihn glaubt.« (Juhani Aho / Gabriele Schrey-Vasara | Der Eremit des Friedens | Seite 39)
Juhani Aho (1861-1921) zählt zu den ersten bedeutenden Prosaisten der finnischsprachigen Literatur und gilt als Wegbereiter des modernen finnischen Realismus. Viele seiner vom skandinavischen, französischen und russischen Realismus beeinflussten Romane wurden um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert übersetzt – auch ins Deutsche. Er galt zu dieser Zeit regelmäßig als Anwärter für den Literaturnobelpreis. Wie viele finnische Schriftsteller seiner Generation stand er der Bewegung der Jungfinnen nahe, die für soziale Reformen und eine verbesserte Stellung der Arbeiter eintrat. Die Themen für seine literarischen Werke schöpfte Aho aus dem finnischen Volksleben, das reichte von politisch-gesellschaftlichen Einflüssen bis hin zu Beschreibungen des bäuerlichen Lebens. Daneben schrieb er aber auch immer wieder Reisebriefe, eine damals beliebte Form von Berichterstattung aus dem Ausland. Im Jahr 1903 verbrachte Familie Aho einige Monate in Mayrhofen im Zillertal in Tirol, auch darüber berichtete Juhani Aho: zunächst in Zeitungen, 1908 dann in einem Buch mit dem Titel Minkä mitäkin Tyrolista (Dies und das aus Tirol, 2007, aus dem Finnischen übertragen von Laura Sinivaara). Es ist anzunehmen, dass Erinnerungen daran auch in den hier vorliegenden Roman eingeflossen sind. Die Übersetzung basiert auf der Originalausgabe von 1916. Einige Passagen, die damals von der Zensur entfernt worden waren, sind in dieser Ausgabe erstmals veröffentlicht und von der Übersetzerin Gabriele Schrey-Vasara kursiv gekennzeichnet worden.
Einer der beiden Hauptprotagonisten ist ein finnischer Tourist, der seine Ferien in einem idyllischen Bergdorf in Österreich verbringt, die Schönheiten der umgebenden Bergwelt beschreibt, seine Eindrücke von den internationalen Gästen und die Stimmung der Bewohner in ihrem einfachen Leben wiedergibt. Im Gasthof trifft er auf eine Gruppe Studenten verschiedener Nationalitäten, allesamt Teilnehmer am Weltfriedenskongress auf dem Weg nach Rom. Lautstark diskutieren sie über den Triumph der friedlichen Mächte, wie ihn in der Weltgeschichte keine andere Epoche erreicht habe, und über die Errungenschaften des technischen Fortschritts in Form von Eisenbahnstrecken und drahtlosen Telegraphen, die die Länder dieser Welt grenzenlos miteinander verbänden. Das sei sichtbarer Ausdruck der Wirklichkeit gewordenen Weltbrüderschaft, der Zusammengehörigkeit der gesamten Kulturwelt, der Unmöglichkeit von Kriegen und Feindseligkeiten zumindest unter zivilisierten Staaten. Der Ich-Erzähler steht dem Standpunkt der jungen Leute jedoch skeptisch gegenüber, denn je einfacher die Menschen in Verbindung kämen, desto leichter sei es, sie gegeneinander aufzuhetzen, je mehr die Menschen voneinander isoliert seien, desto größerer Frieden herrsche zwischen ihnen. Diese Skepsis soll sich nur kurze Zeit später bestätigen…
Der zweite Hauptprotagonist dieses Romans ist die titelgebende Figur, ein Eremit, der alleine und zurückgezogen in den Bergen lebt, einen Bildstock mit der Figur der Gottesmutter Maria betreut und Pazifismus predigt. Er gehört keiner Glaubensgemeinschaft an, ist jedoch überzeugt und getrieben von seiner eigenen Religion des Friedens. Wanderer finden bei ihm Unterschlupf und moralische Orientierung. Auch der ewig zweifelnde Ich-Erzähler macht Bekanntschaft mit dem Einsiedler und ist berührt und fasziniert von dessen Wesensart und Friedensidee, die auch ihn zum Nachdenken anregt. Er verbringt einige Zeit bei ihm und unterstützt ihn bei dessen täglicher Arbeit. Als jedoch Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt und sich dieser Konflikt schnell zum Weltkrieg ausweitet, bricht die Welt des Eremiten völlig zusammen. Die jungen Männer, die noch vor kurzem mit Begeisterung auf dem Weg zum Weltfriedenskongress waren, ziehen nun stattdessen voller Eifer in den Krieg, der Optimismus von Weltbrüderschaft ist in kürzester Zeit nationalen Interessen gewichen, der Patriotismus steht plötzlich im Rampenlicht. Die Stimmung des Friedenseremiten hellt sich erst wieder ein wenig auf, als er vom Weihnachtsfrieden erfährt.
Juhani Ahos Der Eremit des Friedens ist zwar physisch ein schmaler Roman, inhaltlich aber ein großer mit klarer pazifistischer Botschaft. Und man muss leider konstatieren, dass die Bedeutung des Romans heute noch immer so gegeben ist, wie damals zu seiner Entstehungszeit. Das ist mehr als bedrückend. Ebenso nachdenklich stimmend ist der Punkt, dass sich die damalige Zensur am Text gegen die Antikriegsideen im Roman richtete. Bleibt zu hoffen, dass so etwas in Gegenwart und Zukunft nicht auch wieder aktuell wird bei den zunehmenden irrsinnigen Despoten der heutigen Zeit.